Behinderung, und nun?

Behinderung, und nun?

Kerstin BlumensteinAllgemein 2 Comments

Meine Psychotherapeutin hatte mich unlängst als wir beim Thema Behinderung waren, gefragt: „was macht das mit Ihnen?“

Da war ich noch sehr schlecht in der Beschreibung meiner Emotionen. Aber ich erinnerte mich, als ich das Gutachten und die Bestätigung eines 50% Behindertengrades in der Hand hielt, das war schon ein kleiner (ok, vielleicht auch nicht so kleiner) Stoß in die Magengrube. 

Ja, ich wusste, dass ich eine chronische Erkrankung habe und ja, ich wusste, dass dies ein Behindertengrad ergeben würde, hatte allerdings nur mit 30% gerechnet. Diese 30% (oder mindestens 25) reichen aus, um als Mensch mit Behinderung steuerliche Begünstigungen wahrzunehmen. Dass ich mit den „magischen“ 50% eingestuft werde, hatte ich definitiv nicht auf dem Schirm.

Warum aber magische 50% und warum trifft mich das anders als die erwarteten 30%? 

Ganz einfach, weil es etwas besiegelt, was ich nicht so gesehen habe: Ich habe eine doch stark einschränkende Behinderung. Meine unsichtbare Begleiterin war vorher da, ich hab sie gesehen, aber nicht wirklich für voll genommen. Mit der Zuerkennung des Behindertengrades wedelt sie nun mit einem Behindertenpass (den gibt es erst ab 50%) vor meinen Augen und scheint zu schreien: „Nimm mich endlich ernst.“ Das war im Dezember 2021. 

Den Antrag hatte ich im August 2021 in der Reha in Bad Aussee absenden lassen, im November war dann ein Gutachtertermin bei einem Allgemeinmediziner in St. Pölten. Dieser Gutachter hatte damals schon eine schwer einstellbare Colitis Ulcerosa begutachtet. In Verbindung mit der Osteoporose, die Cortison-induziert war und meiner nicht mehr so fitten Wirbelsäule wurden die entsprechenden Einschränkungen der Colitis Ulcerosa von 40% um eine Stufe erhöht.

Wichtig vielleicht zu wissen, bei der Feststellung des Behindertengrades, werden zwar alle Krankheiten/Leiden aufgenommen und mit einem Prozentsatz begutachtet. Die Prozentsätze werden allerdings nicht addiert, sondern es zählt das Leiden mit dem höchsten Prozentsatz. Dieser wird dann nur erhöht, wenn die anderen Leiden, das Hauptleiden beeinflussen.

Die 50% sind in meinen Augen aus mehrfacher Sicht „magisch“: 

  • Es gibt ein sichtbares Zeichen – den Behindertenpass.
  • Es sind Zusatzeintragungen möglich, in meinem Fall zunächst „D3“ aufgrund einer Magen-/Darmerkrankung, was die Möglichkeit des Absetzens von Diätverpflegung ermöglicht.
  • Es besteht die Möglichkeit, einen Antrag zur Aufnahme in den Personenkreis der begünstigten Behinderten zu stellen. Erst mit dieser Aufnahme erfährt der*die Arbeitgeberin davon, dass man ein Mensch mit Behinderung ist. Da es sowohl für die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite Vorteile bringen kann, macht dieser Schritt zumindest aus meiner Sicht aber durchaus Sinn.

Nicht sichtbare Behinderung

Stella bewacht das sichtbare Zeichen der Behinderung
Stella bewacht den neuen Behindertenausweis und den Parkausweis. Ein weiteres Ziel für mich ist Stella übrigens als Assistenzhund (Servicehund) auszubilden.

Gut, nun war das schon letztes Jahr, warum komm ich jetzt mit dem Post? Heute kam ein weiteres noch sichtbares Zeichen dazu. Meine unsichtbare Begleiterin bleibt zwar unsichtbar, ich werde allerdings noch sichtbarer als Mensch mit Behinderung durch die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel“ und dem Behindertenparkausweis, der es mir ermöglicht nun auf Behindertenparkplätzen zu parken und so zumindest theoretisch einen möglichst kurzen Weg zur Toilette zu haben. Für alle FH St. Pöltener, die hier mitlesen: Überlegt mal bitte, wo diese Parkplätze bei uns an der FH sind und wo die jeweils nächste Toilette ist. Diese Aufgabe kann gerne jede*r Leser*in auch mitnehmen, da ich bisher immer festgestellt habe, dass in den wenigsten Fällen Toiletten nahe am Haupteingang liegen – die Behindertenparkplätze in der Regel aber schon.

Warum ist das so? Gegenfrage: Würdet Ihr erwarten, dass ich berechtigter Weise aus einem Auto auf einem Behindertenparkplatz aussteige? Vermutlich eher nicht, ich sitz ja nicht im Rollstuhl oder habe eine andere sichtbare Behinderung. Weil das ist, das Bild, was in unserer Gesellschaft von Menschen mit Behinderungen besteht. Wenn nichts sichtbar ist, bist Du kein Mensch mit Behinderung. Besonders plakativ und wenig sensibel wird das übrigens auf der Seite der Stadt St. Pölten zum Thema Behindertenplätze dargestellt. Generell ein tolles Angebot der Stadt, aber: „Gehbehinderten Personen stehen in unserer Stadt zahlreiche Behindertenparkplätze zur Verfügung.“ Bedeutet das nun eigentlich, dass ich sie nicht nutzen darf? Rein rechtlich gibt es nur einen Behindertenparkausweis, den man in meinem Fall auch garnicht so einfach zuerkannt bekommt. Ich hatte mich dazu an den Verein Chronisch Krank gewandt. Dieser unterstützt Menschen mit Behinderung in verschiedensten Situation. 

Nach der Einschätzung des Vereins waren die Grundvoraussetzungen gegeben, aber das heißt ja noch lange nichts… Eine „einfache“ chronische Darmerkrankung reicht hier nicht aus. Es muss in jedem Fall erstmal andauernd (über 6 Monate) flüssiger, unkontrollierbarer Stuhlgang in hoher Frequenz (10 bis 15 Mal) nachgewiesen werden. Es musste wieder ein Antrag gestellt werden (Juli 2022), brauchte diese eindeutige fachärztliche Einschätzung. Dann kam es wieder zu einem Gutachtertermin (Oktober 2022). Dieses Mal bei einem Chirurgen. Dieser Gutachter hatte das ganz jedoch abgelehnt (November 2022) mit spannenden Begründungen, die ich hier nicht offen lege. Nach Rücksprache mit einem Juristen des Vereins haben wir uns zu einem Einspruch entschlossen. Seine Prognose war allerdings, dass die zweite Runde vermutlich auch nicht ausreichen würde, sondern es wohl vor Gericht gehen wird. Zusätzlich zu der Einschätzung, die zuvor schon auflag, brachten wir noch einmal die letzte Enddarmspiegelung und meine psychiatrische Behandlung mit ins Spiel.

Und siehe da: Dem Einspruch wurde statt gegeben, sogar recht schnell (Dezember 2022). In einem Jahr gibt es eine Nachkontrolle, da ja die Möglichkeit auf Besserung besteht.

Ich muss ehrlich sagen, ohne den Verein hätte ich vermutlich keinen Einspruch eingelegt. Diese Themen haben mich immer zu Zeiten beschäftigt, in denen es mir nicht wirklich gut ging – eh klar, weil man es dann am meisten brauchen würde, aber nicht hat. Dann ist aber auch das Durchsetzungsvermögen für etwas zu kämpfen, auch wenn es einem zusteht, nicht sonderlich groß. Und die Gutachter*innen denken sich vermutlich auch, die wandert hier ohne Probleme rein und will auf dem Behindertenparkplatz parken. Aber kein Mensch weiß, wie es mir außerhalb dieser 10 Minuten des Gespräches geht. Wie sehr es mich unter Druck setzt, den Bus pünktlich zu erreichen oder im Bus vielleicht aufs Klos zu müssen, nicht jederzeit rauszukommen und dann nichts in der Nähe zu haben.

Nicht nur deshalb war die Entscheidung mit Chronisch Krank zu arbeiten, auch wenn Unkostenbeiträge fällig wurden – zunächst für die Einreichung, dann für den Einspruch (völlig im Rahmen und notwendig für den Verein) – die komplett Richtige.

Was möchte ich Euch zum Ende mitgeben: Wenn Ihr selbst an einer chronischen (vor allem nicht sichtbaren) Erkrankung leidet und noch keine Behindertengradfeststellung machen lassen habt, beschäftigt Euch damit. Schon bei Erreichen der 25% lohnt sich die steuerliche Absetzbarkeit. In diesem Dokument sind die Erkrankungen mit der entsprechenden Einstufung zu sehen.

Comments 2

  1. Meine Mama ist erblindet und es ist für sie genauso wie du es auch beschreibst. Erstmal wird alles abgelehnt und dann muss sie Widerspruch einlegen. Wir glauben da ist System dahinter. Mach weiter, auch mit deinem Blog. Du schreibst toll!

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