Biologika und Co, aber was dann?

Biologika und Co, aber was dann?

Kerstin BlumensteinAllgemein 3 Comments

Seit Juli wurde ich ja nun durch das für mich dritte Biologika namens Stelara versorgt (theoretisch) und das Kortison nahm ich schon wieder länger als ursprünglich geplant – wegen meinem Rehaaufenthalt, während dessen nichts verändert werden sollte, und der anschließenden Covid-Infektion, während der akuten Phase war es nicht zielführend etwas zu verändern.

Im Oktober wollten wir es dann aber doch endlich wieder ausschleichen, obwohl mein Calprotectin-Wert im Stuhl wieder ordentlich erhöht (über 900 mg/kg) war, mir es aber trotzdem verhältnismäßig gut ging. Die Hoffnung, dass in der Zeit Stelara seine ganze Wirkung entfaltet, war ja da.

2 Monate später

Tja, was soll ich schreiben… Das Positive: 2 Monate später war ich immerhin für 3 Wochen frei vom Kortison und ich konnte immerhin ein Türchen meines Lakritz-Adventskalender (von Lakrids Bülow – unbezahlte Werbung, weil sie wirklich gut sind – Lakritz ist nicht gleich Lakritz!) aufmachen. Das Negative: Nach Türchen 1 musste wieder Kortison Einzug erhalten, weil mein Calprotectin-Wert bei über 1800 mg/kg lag. Zur Erinnerung normal ist dieser Entzündungsmarker unter 50 mg/kg (bei Colitis Ulcerosa freuen sich die Ärzte auch schon über 150 mg/kg).

Es galt jetzt wieder noch rauszufinden, ob eventuell eine Virus- oder Parasiteninfektion beteiligt ist (mal davon abgesehen, dass Covid auch noch sein Unwesen treiben könnte). Das ist aber nun ausgeschlossen und deshalb steht die Frage an, was nun?

Ein Blick zurück auf die Behandlungspyramide

2016 noch sah die Behandlungspyramide für meine unsichtbare Begleiterin, die Colitis Ulcerosa, so aus:

Übersicht über die medikamentöse Behandlung eines Colitis Ulcerosa Schubes (Palamides, 2016).
Übersicht über die medikamentöse Behandlung eines Colitis Ulcerosa Schubes (Palamides, 2016).

5-ASA-Präparate

Gestartet wird mit 5-ASA-Präparaten – in meinem Fall waren das Pentasa-Tabletten (Wirkstoff: Mesalazin) – 3 g pro Tag, was gleichzeitig 6 Tabletten pro Tag bedeutet. Bei ersten Verschlechterungen kam Pentasa Klysma dazu, ein Einlauf. Wie kann man sich das vorstellen? Also… es ist eine kleine Flasche mit Flüssigkeit, die in den After eingeführt wird. Ich benutze immer Vaseline, damit sich das Plastik-Röhrchen leichter einführen lässt. Empfohlen wird, dass man den ganzen Akt macht, wenn man auf der linken Seite liegt. Habt Ihr schon mal probiert auf der linken Seite liegend eine Flasche mit Flüssigkeit in den Hintern zu schieben und die Flüssigkeit, dann noch aus der Flasche rauszudrücken, gleichzeitig drin zu halten? Und nicht vergessen, Schmerzen im Bauch und Darmaktivität… Ja, genau so ähnlich fühlt sich das an und durchaus noch ein Stück schlimmer. Es war zu Beginn ein Glücksspiel, dass das Ganze dann auch drin bleibt. Also nicht vergessen zumindest ein Handtuch drunter legen für Optimisten, besser noch eine sehr saugfähige Unterlage – hier empfehlen sich Welpentoiletteneinlagen, die wir damals gekauft hatten, als wir Stella aus Deutschland geholt hatten. Während der Fahrt haben wir für sie nicht gebraucht 😅.

Kortikosteroide lokal

Beruhigt sich mit dieser Behandlung die Entzündung nicht, oder kommt man wieder in einen Schub, dann kommt zunächst die lokale Form der Kortikosteroide zum Einsatz – bei mir Cortiment-Tabletten (Wirkstoff: Budesonid, lokal wirkendes Kortison) zusätzlich dazu werden die 5-ASA-Einläufe mit Kortison-Einläufen vervollständigt. Die Prozedur ist nicht anders, deshalb erspare ich Euch die erneute Beschreibung. Nur eine Empfehlung: Wer keine Welpentoiletteneinlagen kaufen möchte, es gibt wasserdichte, waschbare, saugfähige Inkontinenz Unterlagen, die tun ihren Dienst sehr gut und sind definitiv nachhaltiger. Man (oder auch Frau) lernt ja dazu.

Kortikosteroide systemisch

Ist auch diese Behandlung erfolglos, dann wird die nächste Stufe gezündet: systemische Kortikosteroide und Immunsuppressiva – bei mir war das zunächst Prednislon (systemisches Glukokortikoid, kurz Kortison, was auf den gesamten Körper wirkt) auch erfolgreich bei einem Einstieg mit 1mg/kg Körpergewicht. Gleichzeitig wurde auch die Dosis des Mesalazins auf die Maximaldosis von 4 g erhöht (8 Tabletten!!!).

Wenn etwas erfolgreich die Entzündung bekämpft, wird zunächst erst einmal versucht, das „Böse“ (Hallo Kortison!) wieder auszuschleichen. Es heißt, Kortison sollte innerhalb von 8 bis 12 Wochen wieder ausgeschlichen werden, um Nebenwirkung weitestgehend zu vermeiden. Das war bei mir damals allerdings erfolglos, die Entzündung kam wieder.

Biologika

Nun denn, also die nächste Stufe in der Behandlungspyramide erklimmen: TNFα-Hemmer laut der Abbildung. Die Medikamentenart wird mittlerweile als Biologika bezeichnet, da in diese Kategorie nicht mehr nur TNFα-Hemmer gehören. Zunächst also ein TNFα-Hemmer: Humira. Bei diesem Medikament dreht sich alles um den Tumornekrosefaktor (TNFα). TNFα ist ein Eiweiß, das als eine Art Kommunikator zwischen den Zellen fungiert. Es überträgt Signale zwischen Zellen, indem es an Rezeptoren an Zielzellen (z.B. an weißen Blutkörperchen) bindet und diese zur Ausschüttung von Botenstoffen anregt. Und diese Botenstoffe wiederum sind unter anderem mit verantwortlich bei der Entstehung von Entzündungen. TNFα-Hemmer binden an TNFα und schwächen damit die Wirkung von TNFα stark ab, um die Entzündungsreaktion einzudämmen. Nebeneffekt ist allerdings, dass TNFα auch involviert ist in die natürliche Immunabwehr und auch der Tumorabwehr. Mit diesen Hemmer wird also auch das Immunsystems und auch die Tumorabwehr geschwächt.

Nur ein halbes Jahr später zog bei mir das nächste Biologika names Entyvio ein. Dessen Wirkstoff Vedolizumab ist ein Adhäsionshemmer. Dieser wirkt gezielt im Gastrointestinaltrakt. Es basiert auf der Erkenntnis, dass bei entzündlichen Darmerkrankungen die Einwanderung und Anhebung bestimmter Immunzellen in der Darmschleimhaut eine Rolle spielen. Auch hier ist wieder ein spezielles Eiweiß im Spiel (α4ß7-Integrin). Vedolizumab wirkt auf dieses Eiweiß und blockiert die Einwanderung der Entzündungszellen in die Darmschleimhaut.

Aber auch hier kein nachhaltiges Ansprechen, also ein Jahr später noch ein Biologika namens Stelara mit dem Wirkstoff Ustekinumab. Das ist ein Interleukin 12 und 23 (IL-12/IL-23)-Hemmer. Diese Interleukine werden von bestimmten Immunzellen gebildet und zählen zu den körpereigenen Eiweißen, die auch als Kommunikationsexpert*innen arbeiten. Ähnlich wie TNFα binden IL-12 und IL-23 an Rezeptoren an Zielzellen (z.B. weiße Blutkörperchen), wodurch eine Immunreaktion oder eine Entzündungsreaktion ausgelöst werden kann. Ustekinumab bindet an IL-12 und IL-23 und verhindert, dass IL-12 und IL-23 an ihre Rezeptoren binden und damit ihrem Kommunikationsjob nachgehen können. Die Wirkung von IL-12 und IL-23 wird abgeschwächt und Entzündungen reduziert.

Soweit die Theorie, es dreht sich bei allen drei Medikamenten um Eiweiße und Kommunikation im Körper mit unterschiedlichen Angriffspunkten. Deshalb macht es durchaus Sinn, sich durch diesen Eissalon zu kosten. Nur leider bei mir ohne Erfolg und es dauert. Alle Medikamente benötigen im Schnitt 12 Wochen (und mehr), um ihre volle Wirkung zu zeigen. Dies bedeutet zur Überbrückung brauchte es bei mir immer wieder Kortison, um die Entzündung in Schach zu halten, weil Entzündungen im Darm ja so ganz nebenbei auch das Risiko auf Darmkrebs erhöhen. Und zusätzlich braucht es dann wieder Zeit, das Kortison auszuschleichen. Wir sprechen also hier von bisher ziemliche genau zwei Jahren.

Was kommt nach Biologika?

Wenn nun aber auch die letzte Biologika-Option versagt, was dann? In der Behandlungspyramide von 2016 hieß es damals OP – also Dickdarmresektion bzw. zumindest Teile davon, die immer wieder entzündet sind. Bei Colitis Ulcerosa breitet sich die Entzündung vom After wandernd nach oben im Dickdarm aus. Ich erinnere mich an meinen Diagnose-stellenden Arzt 2018: Colitis Ulcerosa ist nicht heilbar – meine unsichtbare Begleiterin werde ich nicht los, es sei denn, wir entfernen den Dickdarm, aber das sind wir noch lange nicht. Hmmm… vier Jahre später…

Optionen vor der OP

Es gibt einige Berichte von Patient*innen, die sehr gut ohne Dickdarm Leben. Ich beschäftige mich deshalb auch schon mit dieser Option – aber jetzt noch nicht ausführlich in diesem Post. Weil: es sind ein paar Jahre vergangen und glücklicher Weise wird im Bereich der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen geforscht – ein Dank an die Forschung. Zumindest gibt es derzeit noch zwei Hoffnungen – Türchen auf: 1) seit 2018 auf dem Markt: JAK-Inhibitoren und 2) Stuhltransplantation.

JAK-Inhibitoren

Türchen 1 klingt harmlos. Ausgeschrieben heißen sie Januskinase-Inhibitoren. Es ist eine neue Medikamenten-Art, die als Small Molecules kategorisiert wird. Sie blockieren Enzyme, die als Januskinasen bezeichnet werden. Diese Enzyme sind dafür bekannt, Entzündungen auszulösen. Vorteil: es sind wieder Tabletten (also keine Infusion oder Spritze, wie es bei den Biologika der Fall war). Nachteil: die Nebenwirkungen, aber keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Und bei den Optionen, die noch bleiben, hat jedes seine speziellen Nebenwirkungen.

Stuhltransplantation

Türchen 2 klingt schon etwas, sagen wir mal, „delikater“. Bei einer Stuhltransplantation bekommt man also Stuhl von einer anderen Person transplantiert. War jemand von Euch eigentlich schon mal Stuhl spenden? In Österreich ist unter anderem das Uniklinikum Graz führend in der Forschung. Es gibt verschiedene Optionen, wie transplantiert wird (über eine Darmspiegelung, eine Kapsel zum Einnehmen oder eine Sonde). In Graz wird mit Darmspiegelung gearbeitet. Eine reicht hier allerdings nicht aus. Und es scheint, dass auch nach einiger Zeit mal wieder nachgelegt werden muss. Da das Verfahren noch nicht soooo bekannt ist, unterscheiden sich auch die Meinungen in der Fachwelt. Aber es ist eine Option, dass der Darm die Chance bekommt, wieder auf die Medikamente anzusprechen.

Ich werde den Weg zunächst erstmal mit Türchen 1 gehen. Türchen 2 bleibt ja immer noch geöffnet.

Quellen
Palamides, Pia Fiona (2016). Charakterisierung eines neuen Colitis ulcerosa Modells in NOD Scid IL2Rγ Chainnull Mäusen mit humanisiertem Immunsystem. Ludwig-Maximilians-Universität München. Abgerufen unter: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/21066/1/Palamides_Pia.pdf.

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (2022). Januskinase-Inhibitoren: Behandlung von Entzündungskrankheiten. Abgerufen unter: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/g-l/januskinase.html.

Hagenauer, Christoph (2021). Stuhltransplantation bei CED. 5. Österreichisches CED-Nursing-Symposium. Abgerufen unter: https://www.ced-nursing.at/symposium/.

CED-Nursing Austria (2022). CED-Nursing Factsheets. Abgerufen unter: https://www.ced-nursing.at/wp-content/uploads/2022/01/CED_Factsheets_22.pdf.

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